Das anfangs von fast allen Menschen deutlich unterschätzte Virus mit der Bezeichnung Covid-19 führte innerhalb kürzester Zeit nicht nur zu gravierenden Veränderungen in Politik und Wirtschaft. Seine Auswirkungen weiten sich auch immer mehr auf die Gesellschaft aus. So auch nicht zuletzt auf die persönlichen Freiheiten eines jeden einzelnen Bürgers. Eine neue Regelung nach der anderen bestimmt den Alltag der meisten Länder der Welt, wie auch der Bundesrepublik: Das Land, in dem einst harte Debatten um die Verweigerung des Handschlags zum Gegenschlecht aus religiös motivierten Gründen geführt wurden, scheint völlig verändert. Kein Handschlag mehr – und zwar von heute auf morgen. Ebenso gilt ein Mindestabstand zu anderen Mitmenschen, der längst nicht mehr auf Restaurants und Cafés zu beschränken ist. Daneben gibt es zahlreiche Regelungen zu Öffnungszeiten von Geschäften, der maximal erlaubten Anzahl an Personen im öffentlichen und auch im privaten Raum sowie viele Vorschriften für die Partizipation am gesellschaftlichen Leben.
Während dieser Einschränkungen war für viele Beobachter wohl abzusehen, dass die freie Religionsausübung des Einzelnen oder der Gemeinschaft davon selbstverständlich nicht unbetroffen bleiben würde. Anfangs schienen sie dabei auch Recht zu behalten. Nicht zuletzt deshalb, weil jegliche Gottesdienste, seien sie islamischer, christlicher oder auch jüdischer Art, untersagt wurden, wenn durch diese die Ausweitung der Pandemie auf weitere Menschen nicht auszuschließen war. Deshalb wurden sämtliche religiöse Veranstaltungen, wie beispielsweise die Messen in den Kirchen oder die Freitagsgebete in den Moscheen eingestellt, häufig sogar durch die Eigeninitiative der besagten Einrichtungen, also ohne offizielle Maßnahmen vonseiten des Staates. Dass nun aber manchen Gläubigen Rechte zugesprochen werden sollen, die zuvor jahrelang in großem Aufruhr eben diesen aberkannt worden sind, mag für manche unter ihnen so fröhlich klingen, dass sie verwirren: Den Muslimen soll der Gebetsruf erlaubt werden. Zumindest einmal am Tag. Zumindest in einer Stadt. Zumindest in einer Moschee.
Seit 12 Jahren vernehmen die Menschen in Duisburg nämlich den Klang des Adhans, des islamischen Gebetsrufes von dem Minarett der Duisburger Zentralmoschee (DITIB). Hülya Ceylan, die Vorsitzende des NRW-Landesverbands, erhielt laut eigener Aussage ein Angebot von der benachbarten Kirche, die Muslime auf islamische Art zum Gebet einladen zu dürfen. Dabei steigt der Muezzin, sprich jemand der den Adhan ausruft, täglich fünfmal auf eine hohe Stelle, wie etwa das traditionelle Minarett, und lädt alle im Alltagsstress vertieften Muslime zum gemeinsamen Gedenken ihres Schöpfers sowie zur Erinnerung an dessen Absicht bei der Schöpfung Seiner Diener ein. Folglich ist die Relevanz des Rufes für die Muslime nicht in Worte zu fassen, da es nicht um den Ruf eines Menschen, sondern den Ruf des Allerhöchsten und Allerwichtigsten geht, der das Maß für sämtliche Belange ihres Lebens festzulegen hat und dessen Erwartungen an sie nicht auf Zeit und Ort zu beschränken sind. Eben dieser Ruf, um den so viel diskutiert wurde, soll nun um die Duisburger Moschee herum täglich einmal gehört werden dürfen – „um ein Zeichen der Solidarität zu setzen“, wie Islamiq.de Ceylan zitiert. Ceylan, die zugleich Vorsitzende der Christlich-Islamischen Gesellschaft e. V. ist, einer Dialogorganisation, welche das Verständnis und die gegenseitige Akzeptanz zwischen Christen und Muslimen zu fördern beansprucht und mit Preisauszeichnungen, wie „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ ihren Bekanntheitsgrad erweiterte, erzählt von dem täglich bundesweit eingeführten Glockenläuten der Kirchen um 19 Uhr, die aufgrund der Schließung der Gebetsräume „ein Zeichen der Solidarität mit den Gläubigen setzen“ wollten. „Nach dem Angebot der Kirche haben wir uns mit der Stadt Duisburg und dem Zuständigen für den Krisenstab zusammengesetzt und die Genehmigung eingeholt“, berichtet die um das Durchhaltevermögen der Muslime besorgte Doppel-Vorsitzende.
Obwohl dieses Projekt sich vorläufig nur auf Duisburg beschränkt, erhofft sich die Sozialpädagogin durch die Zusammenarbeit mit den Kirchen auch die Genehmigung für weitere Gebetsrufe in anderen Moscheen und sieht im Gebetsruf „in diesem Sinne ein sehr wirksames Symbol.“ Dafür betont sie bereits eingetretene Erfolge, wie etwa der Moschee der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) in Hannover, deren Gebetsrufe mittlerweile ebenfalls von der Stadt genehmigt worden wären und wünscht sich, dass auch weitere Moscheen ihrem Beispiel folgen. Insbesondere die Entwicklung in den Niederlanden, wo Gebetsrufe laut Verfassung erlaubt sind, aber angesichts der wachsenden Islamfeindlichkeit von den Moscheen nicht gewagt werden, begrüßt sie die neuerdings im „Ausnahmezustand“ getroffenen Entscheidungen mancher Moscheen, ihrer Zurückhaltung endlich ein Ende zu setzen.
Die von manchen Menschen als größte Katastrophe der Bundesrepublik empfundene Corona-Krise scheint für andere wiederum einige erfreuliche Erleichterungen zu offenbaren, die man in ihrer gesamten Geschichte seit ihrer Gründung vielleicht nicht für möglich gehalten hätte. Dennoch bleibt auch unter den Gläubigen ein aufmerksam beobachtender Teil, worin diese überraschenden Kooperationen gipfeln sollen.
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