
In der Schweiz nimmt die Zahl rassistischer Vorfälle besorgniserregend zu. Laut einem aktuellen Bericht des Beratungsnetzes für Rassismusopfer wurden im Jahr 2024 insgesamt 1211 Fälle von rassistischer Diskriminierung dokumentiert – eine Zunahme von fast 40 Prozent im Vergleich zu den 876 Fällen im Jahr 2023. Besonders betroffen sind Schulen, Arbeitsplätze und der öffentliche Raum, wobei Fremdenfeindlichkeit und Anti-Schwarzer-Rassismus die häufigsten Motive sind.
Die von der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR), humanrights.ch und dem Beratungsnetz erhobenen Daten zeigen, dass Fremdenfeindlichkeit und Ausländerfeindlichkeit mit 426 Fällen (35 Prozent) und Anti-Schwarzer Rassismus mit 368 Fällen (30 Prozent) die dominierenden Diskriminierungsformen sind. Besonders besorgniserregend ist die Zunahme des antimuslimischen Rassismus mit 209 Fällen (17 Prozent). Antisemitismus bleibt mit 66 Fällen auf konstant hohem Niveau.
Ein erheblicher Teil der Vorfälle ereignete sich im Bildungsbereich, insbesondere an Pflichtschulen. Beispiele aus dem Bericht schildern erschütternde Fälle wie ein Mädchen, das während eines Geburtstagsständchens mit rassistischen Tiervergleichen beleidigt wurde, oder ein Junge, der seit der ersten Klasse geschlagen, an den Haaren gezogen und rassistisch beschimpft wurde, ohne dass Lehrkräfte oder Schulsozialarbeiter eingriffen. Ursula Schneider Schüttel, Präsidentin der EKR, betont: „Gerade die Schule sollte ein Ort sein, an dem Kinder vor Diskriminierung geschützt sind“. Sie fordert eine explizite Verankerung des Themas Rassismus in den Lehrplänen sowie obligatorische Weiterbildungen für Lehrpersonen.
Auch am Arbeitsplatz ist Diskriminierung allgegenwärtig. 69 Prozent der Betroffenen berichten von Benachteiligungen bei der Arbeitssuche, Mobbing oder ungleicher Bezahlung. Im öffentlichen Raum, etwa an der Bushaltestelle oder im Zug, kommt es zu Beschimpfungen, Beleidigungen und in 73 Fällen sogar zu körperlicher Gewalt. Solche Erfahrungen belasten die Betroffenen psychisch und physisch und führen zu einem Vertrauensverlust in Institutionen.
Die Gründe für die Zunahme sind vielfältig. Die EKR verweist auf eine zunehmende Polarisierung des öffentlichen Diskurses, geopolitische Spannungen wie der Nahostkonflikt und eine gestiegene Sensibilität für das Thema, die dazu führt, dass mehr Betroffene Hilfe suchen. „Die Zahlen widerspiegeln nicht nur eine Zunahme von Rassismus, sondern auch eine grössere Bereitschaft, Vorfälle zu melden“, erklärt Martine Brunschwig Graf, ehemalige Präsidentin der EKR. Dennoch bleibt die Dunkelziffer hoch, da viele Vorfälle nicht gemeldet werden.
Die Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB) betont, dass Rassismus in der Schweiz nicht nur ein individuelles, sondern auch ein strukturelles Problem ist. Das neue Monitoring „Rassismus in Zahlen“ zeigt, dass 17 Prozent der Bevölkerung – rund 1,2 Millionen Menschen – in den letzten fünf Jahren rassistisch diskriminiert wurden. Besonders betroffen sind Jugendliche und Menschen mit Migrationshintergrund. Die Expertinnen und Experten fordern institutionelle Maßnahmen wie diskriminierungssensible Aufklärungsarbeit, besseren Zugang zu Beratungsstellen und eine nachhaltige Finanzierung dieser Angebote.
Die steigenden Fallzahlen unterstreichen die Dringlichkeit einer konsequenten Rassismusbekämpfung. „Rassismus gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt und muss aktiv bekämpft werden“, mahnen die EKR und humanrights.ch. Neben präventiven Massnahmen wie der Weiterbildung von Schul- und Behördenpersonal fordern sie einen stärkeren Fokus auf den Schutz vor Diskriminierung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Schweiz kürzlich wegen Racial Profiling verurteilt, was den Reformbedarf unterstreicht.
Die Schweiz steht vor der Herausforderung, Rassismus nicht nur als Einzelfälle, sondern als gesellschaftliches Problem anzuerkennen. Betroffene wie Kristina, die regelmässig Diskriminierung erfährt, sind nicht allein – und ihre Stimmen werden lauter. „Es ist an der Zeit, Rassismus nicht länger zu leugnen“, sagt die Historikerin Ashkira Darman. „Der Wandel beginnt im Klassenzimmer, am Arbeitsplatz und in der Politik.“
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