Kopftuch-Verbot in Kosovo: Ein Relikt der Säkularität, das muslimische Schülerinnen diskriminiert

In einem Land, in dem über 92 Prozent der Bevölkerung muslimisch sind, hat das Oberste Gericht Kosovos am 29. Oktober eine Klage gegen das jahrelange Verbot des Kopftuchs in Schulen abgewiesen. Die Entscheidung erlaubt das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Technologie und Innovation (MASHT), Regeln für Schülerkleidung zu erlassen – und damit auch das Verbot religiöser Symbole wie Kopftücher. Doch was als Schutz der staatlichen Neutralität verkauft wird, entpuppt sich als klarer Verstoß gegen Grundrechte: Es schließt muslimische Mädchen aus der Bildung aus und verstärkt Diskriminierung in einer ohnehin fragilen Gesellschaft.

Die Klage wurde vom Frauennetzwerk für berufliche Entwicklung „Arrita“ eingereicht, das seit Jahren Fälle von suspendierten oder gar ausgeschlossenen Schülerinnen dokumentiert. Die Organisation attackierte Artikel 3 der Administrativen Anweisung Nr. 06/2014, die das Tragen von „religiösen Uniformen“ in öffentlichen Schulen untersagt. Das Gericht sah die Regel als verfassungskonform an und berief sich auf Präzedenzfälle des Verfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Doch diese Begründung ignoriert die Realität: In Kosovo, wo der Islam tief in der Kultur verwurzelt ist, ist ein Kopftuch ein Ausdruck persönlicher Frömmigkeit. Das Verbot, das seit 2010 besteht, zwingt Mädchen zu einer Wahl zwischen Glauben und Ausbildung – eine Wahl, die in säkularen Staaten wie Frankreich oder der Türkei kontrovers diskutiert wird, aber in einem mehrheitlich muslimischen Land wie Kosovo absurd wirkt.

„Dieses Verbot ist diskriminierend und verstößt gegen die Verfassung“, wettert Imam Maliqi, ein prominenter Geistlicher in Prishtina. In einer scharfen Reaktion auf die Urteilsverkündung betonte er: „Ein Hijab mit sichtbarem Gesicht behindert weder die Identifikation noch den Lernprozess und gefährdet keinesfalls den Schulfrieden.“ Maliqis Worte spiegeln die Empörung weites Teils der muslimischen Gemeinde wider. Seit der Entscheidung kursieren in sozialen Medien und Moscheen Aufrufe zu Protesten, die das Urteil als „koloniale Relikt“ brandmarken – eine Anspielung auf Kosovos Geschichte unter jugoslawischer und serbischer Herrschaft, in der religiöse Identitäten unterdrückt wurden.

Die Kritik ist berechtigt: Das Verbot hat konkrete Opfer. „Arrita“ berichtet von Dutzenden Fällen, in denen Mädchen aufgrund ihres Kopftuchs den Unterricht verweigert bekamen oder sogar die Schule wechseln mussten. Laut einer Studie der Organisation aus dem Vorjahr haben betroffene Schülerinnen ein um 40 Prozent höheres Risiko, die Schule abzubrechen.

Die Entscheidung des Obersten Gerichts greift auf diese Präzedenzfälle zurück, ohne die kulturelle Spezifität Kosovos zu berücksichtigen – ein Land, das nach dem Krieg von 1999 um seine multiethnische Identität ringt, aber religiöse Minderheiten (hier gläubigen Muslime) weiter marginalisiert.

Was nun? Die Entscheidung ist nicht das Ende. „Arrita“ plant, den Fall vor das Verfassungsgericht zu bringen, und fordert eine gesetzliche Reform, die ministerielle Anweisungen durch ein Parlamentgesetz ersetzt – eines, das echte Debatten eröffnet.

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