In Sibirien verbieten über 300 Schulen den Hijab und Niqab

In einer der kältesten Regionen Russlands hat eine Welle säkularer Bildungspolitik Empörung in der muslimischen Gemeinschaft ausgelöst. Seit dem 3. Oktober 2025 haben 303 Schulen im Autonomen Okrug Chanty-Mansijsk (Yugra) ein umfassendes Verbot von Hijabs, Niqabs und allen anderen Kopfbedeckungen eingeführt. Die auf Prinzipien der staatlichen Neutralität beruhende Maßnahme stößt auf scharfe Kritik: Viele Muslime sehen darin eine gezielte Diskriminierung, die ihre Glaubensfreiheit einschränkt.

Die Entscheidung des regionalen Bildungsministeriums wurde in enger Abstimmung mit Elternräten und der lokalen Öffentlichkeit getroffen. Sie gilt für alle öffentlichen Schulen in der westlich-sibirischen Region mit ihren etwa 1,7 Millionen Einwohnern, die von dichten Taiga-Wäldern und dem Ob-Fluss geprägt ist. Betroffen sind nicht nur islamische Kopfbedeckungen wie der Hijab oder Niqab, sondern jegliche Form von Hüten, Schals oder religiösen Symbolen. Eltern müssen bei der Einschreibung zustimmen. Alternativen wie Homeschooling oder der Besuch religiöser Einrichtungen werden empfohlen. „Eine säkulare Schule ist kein Ort für religiöse Demonstrationen”, begründete der Abgeordnete der Staatsduma, Michail Matwejew, die Regelung in einem Statement auf Telegram.

Das Verbot ist kein Einzelfall in Russland. Ähnliche Maßnahmen wurden bereits in Regionen wie der Oblast Wladimir und Dagestan umgesetzt, wo der Hijab in Schulen seit Jahren tabu ist. Auf Bundesebene diskutiert die Duma einen Gesetzentwurf, der Gesichtsverhüllungen landesweit untersagen könnte. Dieser wurde durch Praktiken in zentralasiatischen Ländern wie Tadschikistan inspiriert. Befürworter wie Matwejew argumentieren, dass solche Regeln die Einheit des Staates schützen und Sicherheitsrisiken minimieren. Kritiker hingegen warnen vor einer Eskalation der Islamophobie in einem Land, in dem Muslime rund 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

In der muslimischen Community des Chanty-Mansijsk-Okrugs, in dem Tataren und andere muslimische Gruppen eine signifikante Minderheit bilden, brodelt es. Obwohl das Verbot erst zwei Wochen alt ist, berichten lokale Medien bereits von ersten Konsequenzen: Mehrere Familien haben ihre Töchter aus den Schulen genommen, um den Hijab nicht aufgeben zu müssen. „Das fühlt sich wie eine Vertreibung an”, sagte eine Mutter aus Surgut in einem Interview mit unabhängigen Journalisten. „Meine Tochter soll lernen, ohne sich ihres Glaubens zu schämen.”

Internationale und nationale Stimmen der Empörung
Internationale Organisationen wie der Council on American-Islamic Relations (CAIR) haben das Verbot als „diskriminierend” verurteilt und fordern eine Rücknahme, da es die Religionsfreiheit verletze. In Russland kritisierte der Mufti der Wolga-Region, Muqaddas-Bibarsov, vergleichbare Maßnahmen in Dagestan scharf: „Solche Verbote sind provokativ und destabilisieren die muslimische Gemeinschaft in einer sensiblen Zeit.“ Bibarsov betonte, dass sie Spaltungen förderten und nicht mit der russischen Verfassung vereinbar seien, die die Trennung von Kirche und Staat fordert, aber auch Glaubensfreiheit garantiert.

Bisher gab es keine großen Proteste in der Region, doch Experten warnen: Wenn mehr Familien betroffen sind, könnte die Stimmung kippen. Das Bildungsministerium plant Informationsveranstaltungen, um Eltern zu beruhigen, während muslimische Verbände einen Dialog mit den Behörden fordern. „Wir brauchen Brücken, keine Mauern”, so ein Sprecher des regionalen Muftats.

Das Verbot in Chanty-Mansijsk wirft ein Schlaglicht auf die Spannungen in Russland zwischen dem Anspruch auf Säkularismus und dem Recht auf kulturelle Vielfalt. Ob es zu einer bundesweiten Welle kommt, bleibt abzuwarten – doch für viele muslimische Familien hat sich der Alltag bereits verändert.

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